Mondlos
- contact93468
- Oct 20
- 2 min read
Das Thema Liebe und Partnerschaft ist derzeit sehr präsent in meiner Praxis.
So strömt es seit einigen Wochen ungebremst in mannigfaltigster Form und Gestalt und kaum vorstellbarer Intensität in meine Praxis: Liebe, Verletzbarkeit, Verschmelzung, Lust, Kälte, Trennung, Sex, … tiefe Trauer.
Begonnen hat es in der Urlaubszeit, in der sich viele just davor – oft wohl in der Phantasie eines neuen Lebens durch den Schwung dieser Anderszeit (Ortswechsel? Sonne?) sich wohl auch gleich offen für neue Begegnungen in diesem Fernraum fühlten. Das hinterlässt allzu oft verbrannte Erde – meiner Erfahrung nach – letzten Endes auf beiden Seiten.
In der vergangenen Woche fielen große Ereignisse gleich mehrerer Klient:innen auf dieselben, wenigen Tage: Eine am Vorabend plötzlich in Gefahr stehende Hochzeit, schwerste Trennungen und Eskalationen symbiotischer Beziehungen, folgenreiche Scheidungen mit kleinen Kindern bis hin zu anders tragischen, nicht minder berührenden, unfreiwilligen Trennungen – der langsame Abschied junger, glücklicher Liebender durch schwere Krankheit und dem bevorstehendem Tod.
So schneide ich mich befreiend-schwitzend, fast lautlos, surrend-abrollend mit meinem Rennrad durch die heute beissend-kalte Luft bei meinen abendlichen Kilometern um in Gedanken in und um einen Text zu mäandern, den ich zuvor gelesen habe. Ein Text über buddhistischen Altruismus und dem Balanceakt zwischen dem sich hingeben und sich dabei nicht zu verlieren, den ich zu diesem Thema so inspirierend finde.
„Obgleich der Wind
hier schrecklich weht
dringt auch das Mondlicht
durch die Dachschindeln
dieses verfallenen Hauses.“
Die Lyrikerin Jane Hirshfield zitiert dieses Tanka (kurzes Gedicht) einer japanischen Dichterin des 10. Jahrhunderts und bringt es in ihrer Deutung mit Risiken, Leiden,… Liebe … und dem Impuls sich „zu schützen“ (vor Verletzungen? vor der Welt? vor dem Leben? … vor der Liebe?) in Verbindung. Für mich betont sie damit die für mich, nicht nur in meiner Arbeit, so wichtige /Durchlässigkeit/.
„Wenn ihr euer Haus zu sehr zumauert“, so meint sie „werdet ihr zwar trocken, aber auch mondlos bleiben.“ Mondlos – wie sehr ich diese Methapher für eben diese /fehlende Durchlässigkeit/ liebe.
Mir ist völlig klar: Als gesunder, menschlicher und allzu verständlicher Reflex auf all unsere einschneidenden, meist unfreiwilligen Lektionen im Leben versuchen wir, Schindel an Schindel aneinanderzureihen – in der Illusion, zukünftiges Weh zu vermeiden.
Hirshfields Deutung des Gedichts betont für mich so schön, wie wichtig es ist, dabei den Mond – also das Leben, die Welt, Menschen, … die Liebe – weiterhin in unser Leben zu lassen, schlichtweg /durchlässig/ zu bleiben, anstatt zu verhärten. Für mich bedeutet das, unsere /Berührbarkeit/ zu erhalten, anstatt dafür zu sorgen, dass unser schützendes Dach am Ende so dicht wird, dass es letztendlich all dies – eben auch das Mondlicht – fernhält.

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